Jørgen Kieler

geboren 23. August 1919 in Horsens, DK,
verstorben am 19. Februar 2017 in Hørsholm, DK

Jørgen Kieler war Mitglied des dänischen Widerstands. 1944 verhaftet, transportierte man ihn in das KZ-Außenlager in Barkhausen, wo er von September 1944 bis März 1945 inhaftiert war. Nach Kriegsende schloss er sein Medizinstudium ab und wurde einer der prominentesten Zeitzeugen Dänemarks.

„Wir wurden in ein Hotel verlegt. Der erste positive Eindruck wich bald angstvollen Ahnungen, als ich auf dem Hof eine Inschrift las, die mit Kohle auf die weiße Wand geschrieben war. HIC MORTUI VIVUNT stand dort in großen Buchstaben. Die Worte HIER LEBEN DIE TOTEN verstanden wir mehr lesen; ihre wahre Bedeutung wurde erst im Laufe der folgenden Monate in ihrem vollen Schrecken offenbar.“  weniger lesen

Jørgen Kieler: Dänischer Widerstand im Nationalsozialismus. Ein Zeitzeuge berichtet über die Geschichte der dänischen Widerstandsbewegung 1940-1945. Hannover: Offizin 2011.

Jørgen Kieler – Gefangenenaufnahme aus dem Internierungslager Frøslev, aufgenommen im August oder September 1944. 

Quelle: Bildersammlung des Frihedsmuseet, Kopenhagen

Biografie

Jørgen Kieler wurde am 23. August 1919 in der dänischen Kleinstadt Horsens geboren. Sein Vater war dort Allgemeinmediziner. Kieler hatte vier Geschwister und die Familie bereiste ganz Europa. Oft führten die Fahrten mit Zelt und Automobil auch nach Deutschland. In der Schule hatten die Geschwister Kieler neben Latein auch Französisch, Englisch und Deutsch als Fremdsprachen gelernt, was die Verständigung auf diesen Reisen erleichterte. Jørgen Kieler absolvierte die staatliche Schule in Horsens, bevor er 1939 in Kopenhagen begann, Medizin zu studieren. In der Zeit zwischen seinem ersten Schulabschluss und dem Beginn des Studiums besuchte er Vorlesungen an den Universitäten in München, Paris und Cambridge. Ab dem Spätsommer 1940 teilte Jørgen Kieler sich zusammen mit seinen Geschwistern Elsebet, Bente und Flemming eine Studentenwohnung in Kopenhagen.

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Als Student im Widerstand
Am 9. April 1940 marschierte die Wehrmacht in Dänemark ein. Ab dem Frühjahr 1942 beteiligte sich Jørgen Kieler an der Verteilung der illegalen Studentenzeitung Frit Danmark (Freies Dänemark), später wurden Ausgaben der Zeitung auch in der Wohnung der Geschwister Kieler gedruckt. Im Herbst 1943 unterstützte Kielers Widerstandsgruppe die Flucht von dänischen Juden in Fischerbooten nach Schweden. Zur selben Zeit schlossen sich Jørgen und Flemming Kieler der bewaffneten Widerstandsbewegung Holger Danske an, die Sabotageaktionen im ganzen Land unternahm. 

Verhaftung
Nach einer misslungenen Sabotageaktion in Aabenraa Anfang Februar 1944 wurde Kieler auf der Flucht verletzt und ebenso wie sein Bruder verhaftet. Im September 1944 transportierte man ihn zusammen mit einer großen Gruppe von dänischen Gefangenen aus dem Lager Frøslev an der deutsch-dänischen Grenze ins KZ Neuengamme, nur wenige Tage später verließ Kieler Neuengamme wieder zusammen mit 97 weiteren dänischen Häftlingen in Richtung des Außenlagers in Barkhausen, unter ihnen befand sich ebenfalls wieder sein Bruder Flemming. 

In Porta Westfalica
Kieler musste in der Folge beim Ausbau der Stollenanlagen rund um die Porta Westfalica schwere Zwangsarbeit leisten. Aufgrund seiner Vorbildung wurde er zeitweise auch als Häftlingshilfsarzt im Krankenrevier des Lagers eingesetzt. Im März 1945 wurden die noch in Barkhausen befindlichen dänischen Konzentrationslagerhäftlinge im Rahmen der sogenannten Bernadotte-Aktion zurück nach Neuengamme gebracht, etwa einen Monat später konnte er mit dem letzten Bustransport der Aktion Neuengamme über Dänemark in Richtung Schweden verlassen. 

Nach dem Krieg – Forscher und bedeutender Zeitzeuge
1947 schloss er sein Studium in Kopenhagen ab und heiratete im selben Jahr seine Frau Eva, mit der er bis zu ihrem Tod 2008 zusammenlebte. Zwischen 1947 und 1951 forschte er zusammen mit sechs Kollegen zum Hungersyndrom in Konzentrationslagern. 1965 wurde er Leiter der Fibiger Labore, 1980 Forschungsleiter der dänischen Krebsforschungsgesellschaft und 1984 Leiter des Fibiger Instituts für Krebsforschung. 

Zeit seines Lebens war er in der Erinnerungsarbeit für die dänischen Widerstandskämpfer aktiv. Bis ins hohe Alter veröffentlichte er Texte und hielt Vorlesungen zu diesem Thema.

Jørgen Kieler verstarb am 19. Februar 2017 im Alter von 97 Jahren. 

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Zur Person von Jørgen Kieler gibt es eine Video-Präsentation im Ausstellungs-Container.

„Die Steine häuften sich um uns, der Polier schimpfte. Letzendlich nahm er eine Schaufel und packte selbst mit an. Schnell wurde mir aber klar, dass es nicht um die Beladung einer Kipplore ging: Zwei dänische Häftlinge sollten gesteinigt werden mehr lesen{...} Wir versuchten, uns mit den Schaufeln und Händen zu wehren, wurden aber unaufhaltsam von scharfen Gesteinsbrocken getroffen – erst an den Beinen, dann am Körper und am Ende im Gesicht.“   weniger lesen

Jørgen Kieler: Dänischer Widerstand im Nationalsozialismus. Ein Zeitzeuge berichtet über die Geschichte der dänischen Widerstandsbewegung 1940-1945. Hannover: Offizin 2011.

“Ich wurde ausfühlich zur Ernährungslage und zum Hungersyndrom befragt, was einen der Verteidiger zu der verhöhnenden Bemerkung veranlasste, der deutschen Zivilbevölkerung gehe es im Frühjahr 1948 nicht viel besser. Selbst sah er jedoch nicht so wie ein Muselmann aus, ebenso wenig wie die Angeklagten.”

Jørgen Kieler, Dänischer Widerstand im Nationalsozialismus. Ein Zeitzeuge berichtet über die Geschichte der dänischen Widerstandsbewegung 1940-1945, Hannover 2001

Seit 2017 vergibt die KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica die Dr.-Jørgen-Kieler-Medaille für besondere Verdienste im Einsatz für Menschlichkeit, Frieden und Völkerverständigung. Die bisherigen Preisträgerinnen und Preisträger sind die Initiativen der Geflüchtetenhilfe in Porta Westfalica (2017), die AG Jüdischer Friedhof der Gesamtschule Porta Westfalica (2019), die Gruppe der “Zeitzeuginnen und Zeitzeugen an der Porta Westfalica” (2021) und Wilhelm Gerntrup (2023).