Wiesław Kielar

geboren am 12. August 1919 in Przeworsk, PL,
verstorben am 01. Juni 1990 in Wroclaw, PL

Wiesław Kielar war einer der ersten Männer, die 1940 im KZ Auschwitz inhaftiert wurden. Er blieb dort bis 1944 und kam dann über Sachsenhausen in das Außenlager Barkhausen. Sein Buch Anus Mundi gilt bis heute als einer der wichtigsten Zeitzeugenberichte über die deutschen Konzentrationslager.

„Die Tränen liefen mir über die eingefallenen und brennenden Wangen. Man vermochte es nicht zu glauben. Einfach so, ohne jegliche Ankündigung, plötzlich. Die Amerikaner waren kaum 50 Kilometer von unserem Lager entfernt. Das war doch unmöglich? mehr lesen […] Morgens um fünf führte man uns auf die leere und ausgestorbene Straße. Außer uns gab es dort niemanden. Erst vor der Brücke sahen wir irgendwelche Militärs. Auf beiden Seiten der Brücke, dort wo die Übergänge für die Fußgänger waren, standen alle paar Meter ein paar Kisten, die untereinander mit Draht verbunden waren. Dynamit! Also mußten die Amerikaner ganz nah, ganz nah sein. Auf dem Bahnhof stand ein langer Güterzug, in den man uns verlud. Wir spitzten die Ohren, ob wir hinter uns den Krach der gesprengten Brücke hören konnten, aber außer dem Rattern der Räder des Zuges war nichts zu hören.“   weniger lesen

Wiesław Kielar, Anus Mundi - Fünf Jahre Auschwitz, Frankfurt a. M. 1979

Biografie

Wiesław Kielar wurde am 12. August 1919 in Przeworsk in Polen geboren. Sein Geburtsort liegt im östlichen Teil des Landes, etwa auf halber Strecke zwischen den Städten Kraków und Lwiw. Seine Jugend verbrachte er zu großen Teilen im nahe gelegenen Jaroslaw. Nach der deutschen Besetzung Polens plante Kielar, sich mit einer bewaffneten Widerstandsgruppe nach Ungarn abzusetzen. Dies mißlang jedoch und die Gestapo verhaftete ihn.

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Häftlingsnummer 290
Nach einem Aufenthalt im Gefängnis von Tarnow brachte man ihn im Juni 1940 nach Oświęcim in das soeben neu eröffnete Konzentrationslager Auschwitz. Kielar war Teil des ersten Transportes in das Lager. Die ersten 30 deutschen Häftlinge waren kurz zuvor aus dem KZ Sachsenhausen dorthin verbracht worden. Mit Kielar zusammen erreichten 727 weitere polnische politische Häftlinge das Lager, Kielar bekam die Häftlingsnummer 290, die er die nächsten vier Jahre behielt. Neben dem Hauptlager war Kielar unter anderem auch in Monowitz und im Vernichtungslager Birkenau inhaftiert. Er wurde überall in unterschiedlichsten Arbeitskommandos eingesetzt, musste als Krankenpfleger und Leichenträger arbeiten und erhielt am Schluss seiner Zeit in Auschwitz die Position des Blockältesten.

„Elektriker“
1944 wurde Kielar ins Konzentrationslager Sachsenhausen verlegt. Als die Lagerverwaltung zusammen mit Industrievertretern in den angekommenen Transporten nach Häftlingen mit Vorkenntnissen für spezialisierte Arbeiten suchte, meldete sich Kielar zunächst als „Brunnenbohrer“ und kurze Zeit später als „Elektriker“. Aufgrund dieser Meldung überstellte man ihn Ende November 1944 in das Männerkommando „Hammerwerke“ des Konzentrationslagers Neuengamme und transportierte ihn in das KZ-Außenlager in Barkhausen.

Häftling im Kommando „Hammerwerke“
Der Zweck dieses Kommandos bestand in der Vorbereitung, dem Transport und Einbau der Maschinen für die Verlagerung der Philips- bzw. Valvo-Röhrenproduktion in den oberen Stollen des Jakobsberges. Obwohl das Kommando „Hammerwerke“ noch im März 1945 als separates Außenkommando des KZ Neuengamme geführt wurde, wurden Kielar und seine Kameraden zusammen mit den anderen Häftlingen des Außenlagers Porta im Saal des Hotels Kaiserhof inhaftiert.

Kielar verließ am 1. April 1945 die Porta Westfalica mit dem Räumungstransport der drei Außenlager. Er kam über das Außenlager Schandelah und einer tagelangen Irrfahrt im Zug nach Wöbbelin, wo er am 2. Mai 1945 von amerikanischen Truppen befreit wurde. Bei seiner Befreiung wog Kielar noch 39 Kilogramm. Erst nach einem Jahr ärztlicher Behandlung konnte er nach Polen zurückkehren.

Arbeit als Kameramann und Autor von „Anus Mundi“
Nach seiner Rückkehr 1946 absolvierte er die nationale Filmhochschule und arbeitete in der Folgezeit als Kameramann, hauptsächlich für das polnische Fernsehen. Ab Mitte der 1960er Jahre arbeitete er an einem Manuskript über seine Zeit in Auschwitz. 1972 erschien der Bericht unter dem Titel „Anus Mundi“ im Verlag Wydawnictwo Literacki. In den Folgejahren erhielt er mehrere Auszeichnungen für sein Buch, im März 1979 erschien es das erste Mal auf Deutsch. „Anus Mundi“ gilt bis heute als eine der eindrücklichsten Schilderungen der Realität von Auschwitz, es ist weiterhin im Buchhandel erhältlich. Kielar ergänzte sein Werk später noch um die Bücher Nasze młode lata (Unsere jungen Jahre) und Życie toczy się dalej (Das Leben geht weiter) zur Vor- und Nachkriegszeit, die allerdings nie auf Deutsch erschienen sind.

Wiesław Kielar lebte zusammen mit seiner Ehefrau nach dem Krieg in Wroclaw, wo er am 1. Juni 1990 im Alter von 70 Jahren verstorben ist. Beigesetzt wurde er auf dem Friedhof Rakowicki in Krakow.

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Zur Person von Wiesław Kielar gibt es eine Video-Präsentation im Ausstellungs-Container.

„Man lud uns auf dem Güterbahnhof eines kleinen Städtchens mit dem merkwürdigen Namen „Porta Westfalica“ aus. Unser Erstaunen wurde noch größer, als wir dieses stille Städtchen sahen mehr lesen, das sich an beiden Ufern des Flusses an Gebirgshängen mit typischen Ferienhäusern ohne jegliche Spuren von Industrieobjekten hinzog. Wo waren denn hier die Philipswerke, in denen wir arbeiten sollten? Nachdem wir eine schöne Hängebrücke, die beide Teile des Städtchens, das durch den breiten und befahrenen Fluß Weser geteilt war, verband, passiert hatten, stiegen wir nach oben auf eine Straße, die mit alten Bäumen bepflanzt war, bogen in eine schmale Gasse ein und standen dann vor einem großen Holzgebäude, dessen Aussehen an eine alte Synagoge erinnerte, nur mit dem Unterschied, daß es mit Stacheldraht umzäunt war und Wachttürme an den Ecken hatte. Sollte das unser Konzentrationslager sein?“  weniger lesen

Wiesław Kielar, Anus Mundi - Fünf Jahre Auschwitz, Frankfurt a. M. 1979. 

Wiesław Kielar auf einer Veranstaltung in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau.

Quelle: Archiv des Miejsce Pamieci i Muzeum Auschwitz-Birkenau

„Der Saal war nicht geheizt, drinnen war es so kalt wie draußen. Man brachte uns an der Nordwand unter, gerade dort, wo es am kältesten war. Vorher aber wurden unsere Köpfe auf merkwürdige Weise geschoren, mehr lesendas heißt man fuhr mit der Schermaschine durch die Mitte des Kopfes bis zum Genick, wodurch ein Pfad entstand, den jemand humorvoll Läusestraße nannte; wie wir danach bald festgestellt hatten, war es durchaus berechtigt, es fehlte nämlich hier nicht an Insekten wie Läusen, Flöhen und Wanzen.“  weniger lesen

Aktuelle deutsche Ausgabe von Anus Mundi. Das Original erschien erstmals 1972 in Polen.